Auf dem Weg zu sich selbst
Das pädagogische Konzept für die Arena of Change wurde von Expert:innen aus Kultur, Sport, Wissenschaft und Bildung entwickelt. Hier erklärt die Dortmunder Pädagogik-Professorin Silvia-Iris Beutel, wie das Programm helfen soll, Jungen und Mädchen zu starken Persönlichkeiten zu formen.
Frau Professor Beutel, welche Fragen waren grundlegend, als Sie mit dem Expert:innen-Gremium begannen, das Konzept der Arena of Change zu entwerfen?
Zuerst einmal waren wir uns einig, dass wir alle Dinge, die wir diskutierten, aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen betrachten müssen. Nicht unsere Vorstellungen waren vorrangig, sondern ihre Bedürfnisse. Deshalb war uns auch klar, dass unser Angebot viele Erfahrungsräume öffnen sollte, zu denen sie in ihrem Alltag nicht automatisch Zugang haben. Etwa Tanz, Design, Artistik, Robotik oder Umweltfragen. Wir wollten ihnen Rollenwechsel ermöglichen, damit sie in verschiedenen Bereichen Lebenskompetenzen stärken können.
Welche Kompetenzen sind das?
Die Grundpfeiler unseres Konzepts sind Resilienz, Sozialität, Kreativität, Körperbewusstsein und Selbstwirksamkeit: Was bedeutet es also, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen? Wie findet man kreative Lösungen für Probleme? Wie macht man sich die Leistungsfähigkeit seines Körper bewusst? Wie kann man sich trotz verschiedener Herausforderungen aus eigener Kraft weiterentwickeln? Und wie findet man sich in einer diversen Gemeinschaft zurecht?
Nun reicht es nicht, Kompetenzen zu benennen, man muss sie vermitteln. Wie geschieht das in der
Arena of Change?
Wir wollten vor allem Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen Stadtteilen und Schulen zusammenbringen. Sie sollen sich für einen Nachmittag in der Woche aus ihren üblichen Bezugsgruppen lösen, andere Perspektiven kennenlernen und sich mit diesen auseinandersetzen. Essenziell ist dabei auch, dass die Mädchen und Jungen an der Gestaltung des Programms beteiligt sind. Es gibt zwar festgelegte Themen wie etwa Gesundheit, Umweltschutz oder Ungleichheit, das Curriculum wird aber nicht starr vorgegeben. Jede und jeder soll seine Erfahrungen und Ideen einbringen. Die Pädagoginnen leisten keinen Frontalunterricht, sondern nehmen eher eine moderierende Rolle ein.
Der Peer-to-Peer-Ansatz, also das Lernen voneinander, ist ein wichtiges Element in der Arena of Change. Warum?
Weil Kinder und Jugendliche reichhaltige und wertvolle Lernerfahrungen machen, wenn sie gemeinsam etwas erarbeiten und nicht ausschließlich von Erwachsenen etwas beigebracht bekommen. Wir Älteren denken und argumentieren in anderen Mustern und haben bestimmte, spontane Perspektiven auf Fragestellungen längst verloren. Heranwachsende gehen unvoreingenommen an die Dinge heran und finden gemeinsam oder auch allein völlig neue Wege. Außerdem können sie in der Gruppe immer wieder die Rolle ändern und dabei die eigenen Stärken testen. Man kann Moderator, die Kreative im Hintergrund oder der Antreiber sein. Je nach Talent und Vorlieben.
„Aus meiner Forschung weiß ich: Man braucht eine Balance zwischen gruppenbezogener Arbeit und Raum für sich alleine.“
In der Arena of Change sind 15 Kinder und Jugendliche in einer Gruppe: Ist es da nicht manchmal schwierig, die individuellen Fähigkeiten der Mädchen und Kinder zu fördern?
Es muss eine Balance zwischen gruppenbezogener Arbeit und Einzelaktionen geben. Aus meiner aktuellen Forschung weiß ich, dass vor allem Jugendliche auch so etwas wie Eigenzeit brauchen. Einen Raum, in den sie sich aus der Gruppe zurückziehen können, sich intensiv mit Dingen befassen können. Es war uns klar, dass es nicht gut ist, wenn die Teilnehmer:innen ständig damit beschäftigt sind, das Feedback der Gruppe zu verarbeiten. Neben der Gruppenarbeit ist deswegen auch der Rückzug wichtig, die Konzentration auf sich selbst. So haben sie Zeit, ihre Erlebnisse zu reflektieren, darüber nachzudenken, was die Arena of Change für sie bedeutet. Diese Erkenntnisse können sie dann zum Beispiel in ihrem persönlichen Glückstagebuch dokumentieren, damit sie später auch darauf Zugriff haben.
Das Programm beruht auf drei Säulen, Wissenschaft, Kreativität und Sport, der ja in der Schule oft zu kurz kommt. Wie wichtig ist Bewegung und Sport in der Arena of Change?
Sport ist ja nicht nur bedeutend für das Einstudieren von Teamwork, sondern auch für das Erleben des eigenen Körpers: Was tut mir gut, was nicht, wie bewege ich mich, wie kann ich anderen im Spiel nahekommen? Uns ging es nicht darum, den gegenwärtigen Körperwahn weiterzutreiben, es soll kein Wettbewerb um die fittesten Körper stattfinden. Die Jungen und Mädchen sollen lernen, sich so zu akzeptieren, wie sie sind, indem sie lernen, mit ihren Körpern umzugehen und durch Ernährung und Training auch Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.
Die Kinder und Jugendlichen verbringen ihre Nachmittage auf dem Campus des FC Bayern. Wie haben Sie dieses Umfeld in Ihr Konzept integriert?
Unser Gedanke war, dass es eine aktive Beteiligung der Spieler:innen und Mitarbeiter:innen des FC Bayern gibt. An ihnen können die Jungen und Mädchen beobachten, dass zum Leben auch Niederlagen gehören, dass man manchmal Umwege gehen muss, dass Durchsetzungskraft wichtig ist – wenn es sein muss auch gegen die Eltern –, um erfolgreich zu sein. Sie sollen erfahren, was hinter den glorreichen Profi-Karrieren steckt. Der unbedingte Wille zur Anstrengung, das Ertragen von Widerständen. Ich glaube, aus solchen Begegnungen können die Jungen und Mädchen unheimlich viel lernen.
„Zur Fußball-Karriere gehört der unbedingte Wille zur Anstrengung, das Ertragen von Widerständen. Daraus können die Jungen und Mädchen unheimlich viel lernen.“
Nun ist die Arena of Change nur wenigen Kindern vorbehalten. Was müsste sich denn in der Pädagogik insgesamt ändern, damit Kinder und Jugendliche selbstwirksamer und resilienter werden, vor allem in Situationen wie der Pandemie?
Es muss mehr Programme geben, die auf Gemeinsamkeit Wert legen, wo Ausgrenzung und Mobbing keinen Platz haben, die zur Kreativität anregen und Neugier wecken. Die Kinder und Jugendlichen sollen sich dort ausprobieren können, mal Künstler:in, mal Sportler:in, mal Forscher:in sein. Dort können sie sich selbst erfahren, Dinge erkennen, von denen sie gar nicht wissen, dass sie in ihnen stecken. Vielleicht ist jene eine grandiose Cellistin, der andere ein guter Sportler oder ein toller Regisseur. Diese Neugier auf sich selbst als Lebenserfahrung zu vermitteln ist etwas, womit wir Kindern sehr viel Gutes tun können. Und zwar in einer Atmosphäre, die eben nicht mit Noten oder mit Prüfungen Druck ausübt, sondern den Raum lässt, erst mal selbst wachsen zu können.