Auf der Suche nach dem Glück

Jedes Treffen in der Arena of Change beginnt auf die gleiche Art und Weise: Alle Teilnehmer:innen, ob Grundschüler, Realschülerin, Gymnasiast oder Pädagogin, erzählen, was sie zuletzt glücklich gemacht hat. Ein Ritual, das ein unglaubliches Potenzial entfesseln kann.

26.01.2022

Eine gute Schulnote schreiben, einen lustigen Nachmittag mit Freunden verbringen oder einfach nur einen leckeren Apfel essen – auch kleine Dinge in unserem Alltag können Freude bereiten, wenn wir sie nur wahrnehmen und schätzen lernen. Die Arena of Change hat es sich daher zum Ziel gemacht, den Blick der Kinder und Jugendlichen für das Positive zu schärfen: „Zu Beginn jeder Session erzählen wir uns gegenseitig, was wir in der vergangenen Woche Schönes erlebt haben“, erklärt die Pädagogin Teresa Jehlicka.

An manchen Tagen müssen die Mädchen und Jungen lange überlegen, bis ihnen etwas einfällt. Trotzdem kommt das Ritual bei allen gut an. „Ich finde es schön, meine Erlebnisse mit anderen zu teilen“, sagt der 10-jährige Anton, dessen größtes Highlight in den Weihnachtsferien ein Ausflug mit seiner Familie in die Berge war. Auch der 15-jährige Sebastian scheut sich nicht, seine privaten Erlebnisse und Momente mit den anderen Kids zu teilen (lediglich die Tatsache, dass auch die Betreuerinnen seine Antworten zu hören bekommen, findet er „cringe“).

Zukunftsängste in Zeiten von Corona

In den Antworten der Kinder spiegelt sich jedoch auch die bittere Lebensrealität der nicht enden wollenden Pandemie wider: Während sich eine Viertklässlerin darüber freut, dass sie nach zwei Wochen Quarantäne endlich wieder in die Schule und ihre Freunde treffen darf, ist ein anderes Mädchen über seine erste Impfung dankbar, ein anderer Arena-Freund ist froh, dass er seit Kurzem von Covid-19 genesen ist. „Letzten Sommer ist es den Kindern leichter gefallen, schöne Erlebnisse in ihrem Alltag zu benennen“, erinnert sich Pädagogin Anna Kronen, „sie konnten viele Dinge erleben und unternehmen, waren draußen mit Freunden. Jetzt wo die Inzidenzen steigen, merkt man, dass die Stimmung gedrückt ist.“ In der jüngsten Corona-Welle werden viele Unternehmungen, Events und Urlaube abgesagt; das verunsichert auch Kinder und deprimiert sie. Letzten Endes ist das Glückstagebuch also ein Versuch, sich ein Stückchen Unbeschwertheit zurückzuerobern und sich der Schönheit des Augenblicks bewusst zu werden.

Wir haben zwei Wochen lang das Glückstagebuch ausgewertet: Dies sind die Ergebnisse.

Glückstagebücher, auch Gratitude-Journals genannt, stammen ursprünglich aus dem Bereich der Verhaltenstherapie. Dass diese Übungen tatsächlich dazu beitragen können, dass sich das eigene Glücksempfinden verbessert, konnten die Pädagog:innen Anton-Rupert Laireiter, Katharina Spitzbart und Leonie Raabe bereits im Jahr 2012 in zwei Pilotstudien belegen. 80 Proband:innen führten zwei Wochen lang ein Tagebuch mit Fokus auf positive Ereignisse im interpersonalen, beruflichen und persönlichen Bereich. Bei allen Teilnehmer:innen war bereits nach kurzer Zeit ein gesteigertes Wohlempfinden erkennbar, während die Anzeichen von Depressionen verringert wurden. Zu einem ähnlichen Schluss kamen die Forscher Martin Seligman und Tracy Stehen 2005 in ihrer Studie „Positive Psychology Progress: Empirical Validation of Interventions“. Hier konnte die positive Auswirkung der Übung auf die Probanden sogar noch sechs Monate später nachgewiesen werden. Die Studien zeigen, dass Optimismus nicht nur eine Frage der Lebensumstände und Gene ist, sondern man positives Denken und somit auch seelische Belastbarkeit und innere Stärke trainieren kann.

Diese Art der Widerstandsfähigkeit oder Resilienz kann dabei helfen, belastende Lebenssituationen anders wahrzunehmen und sie positiver zu bewerten. Das ist umso wichtiger, weil immer mehr junge Menschen und Kinder seit Ausbruch der Pandemie an Ängsten und Depressionen leiden. Laut der sogenannten COPSY-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf litt 2021 fast jedes dritte Kind unter psychischen Auffälligkeiten. „Ich wünsche mir, dass unser kleines Ritual den Kindern dabei hilft, widerstandsfähiger zu werden, damit sie die Herausforderungen ihres Alltags besser meistern können“, sagt Verena Milasta. Das Motto der Arena of Change lautet nicht ohne Grund: Starke Kinder für eine starke Gesellschaft.

Haustiere, Hightech und Hoffnung: Ein paar besondere Fundstücke aus dem Glückstagebuch.

Vor allem eine Sache fällt auf, wenn man die Antworten der Kinder studiert: Am häufigsten wird das Beisammensein mit Freunden oder Verwandten als Glücksmoment genannt. Ein Junge schwärmt von einem Shopping-Tag mit seinem Vater, ein anderes Kind vom Besuch seines Cousins und Zeit mit den Großeltern verbringen zu dürfen ist für ein 9-jähriges Mädchen ein absolutes Highlight. Dass ein frohes und gesundes Miteinander keine Selbstverständlichkeit ist, scheint den Kindern klar zu sein.

Eine Frage der Perspektive

Und nicht nur das: Da sich die Gruppen schul- und stadtteilübergreifend zusammensetzen und die Kinder teilweise aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen stammen, werden einige sich durch das Tagebuch erst ihrer Privilegien bewusst. Konkurrenzdenken gäbe es dabei nie, betont Verena Milasta. „Die Kinder werten die Antworten der anderen nicht und unterstützen sich gegenseitig dabei, positive Momente auszumachen. Das finde ich echt bewegend.“ Das Ritual schaffe letztlich einen sicheren Raum und gebe den Kindern die Möglichkeit, Gemeinsamkeiten mit anderen Teilnehmer:innen zu entdecken, zum Beispiel anhand von Hobbys (ein Mädchen hat vor Kurzem Irish Dancing gelernt) oder Haustieren (zwei zahme Ratten wurden als Grund zur Freude genannt). Das Verhältnis innerhalb der Gruppen sei daher nach einem knappen Jahr in der Arena fast schon geschwisterlich.

„Wenn man merkt, dass sich andere für das eigene Glück und Wohlbefinden interessieren und daran teilnehmen wollen, ist das natürlich eine tolle Bestätigung und sehr ermutigend“, sagt Milasta. Als gesamte Persönlichkeit wahrgenommen zu werden sei zudem eine wichtige Grundlage für nachhaltiges Lernen und eine gute Entwicklung. „Es nimmt den Druck raus und ermöglicht es den Kindern, sich auf ihre Stärken statt auf ihre Schwächen zu konzentrieren. Und darum geht es uns in der Arena: Wir wollen die Talente der Kinder fördern und ihnen dabei helfen, einen guten Lebensweg zu finden.“

6 Monate
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